Fernsehwerbung "Wegzappen unmöglich"

Von Mathias Schlosser
Wirklich überraschend ist es nicht: Fernsehwerbung nervt 71 Prozent der Zuschauer, immer mehr "drücken" sie weg. Doch auch die Werbewirtschaft schläft nicht - und reagiert mit High Tech, Lautstärke und immer neuen Sonderwerbeformen.

Die Harn treibende Wirkung von Bier kennen auch Werber nur allzu gut: Kaum erklingt die Krombacher-Fanfare, zieht es die Deutschen zum stillen Örtchen - oder in die Küche, oder in den Keller, oder in den Garten oder zu einem anderen Sender. Bei einer Untersuchung von IBM und der Universität Bonn gaben im vergangenen Jahr 71 Prozent der Befragten an, dass sie die Fernsehwerbung am liebsten überspringen würden.

"Ad Skipping" heißt der neue Trend

Und die Werbeverweigerer rüsten auf. "Ad Skipping" heißt der neuste Trend, der Spielfilme ganz ohne Kaffee, Kinderriegel und Klopapier verspricht. Ein digitaler Videorekorder zeichnet den Blockbuster auf und spielt ihn gleichzeitig zeitversetzt wieder ab. Kommt die Werbung, spult der Zuschauer einfach bis zum Ende des Werbeblocks vor und schrumpft die Unterbrechung mit der Fernbedienung auf erträgliche fünf Sekunden.

Doch auch die Gegenseite schläft nicht: Philips hat in den USA eine Technik zum Patent angemeldet, bei der ein spezielles Signal im entscheidenden Moment die Fernbedienung blockiert - umschalten oder vorspulen unmöglich. Der Elektronikkonzern plant zurzeit zwar kein Produkt mit der Innovation, aber einige Sender träumen bereits von Programmen, bei denen sich die Zuschauer per Knopfdruck und gegen Bezahlung von der lästigen Werbung freikaufen können.

Holzhammer für die Ohren

Bis es soweit ist, kämpfen die Werber mit allen Mitteln um die Aufmerksamkeit der Kunden. Der Holzhammer sind so genannte "dynamisierte Spots". Dabei wird die Tonspur so lange komprimiert, bis laute und leise Töne zu Schallbrei vermischt aus den Boxen dröhnen. Zwar bestreiten Oberwerber wie Volker Nickel vom Zentralverband der Werbeagenturen immer wieder, dass die Spots mehr Lärm machen als der Rest des Programms. Doch hat der TÜV Bayern schon vor sieben Jahren gemessen, dass die Werbung bis zu 40 Prozent lauter ist.

Subtiler dringen Sonderwerbeformen zum Verbraucher vor. Die so genannten "Special Ads" werben, wenn der Zuschauer damit nicht rechnet. Einen guten Teil ihres Umsatzes erzielen die Fernsehsender mittlerweile mit ihren Spezialitäten außerhalb der klassischen Werbeblöcke. Bei RTL sind es nach Angaben von Vermarkter IP Deutschland zehn Prozent, Tendenz steigend. 580 Millionen Euro gab die Werbewirtschaft laut Nielsen Media Research 2006 für "Specials Ads" aus, mehr als drei Mal so viel wie im Jahr 2000.

Branche hofft auf neue Werbeformen

Die Instrumente sind vielfältig: Mal teilt sich der Bildschirm über dem Abspann einer Sendung, mal wackelt eine Veltins-Flasche für einige Sekunden durchs Bild, mal gestalten Firmen wie Coca-Cola oder Jägermeister ganze Mini-Sendungen.

Die Nase vorn haben zurzeit ProSieben und Sat1. Kaum ist zum Beispiel "Galileo" zu Ende, betritt ein Mann mit Wischmopp das Studio, sprüht links, sprüht rechts und wischt schließlich den ganzen Bildschirminhalt mit den "Reinemachern von Leifheit" weg. Ähnliches am Freitag bei SAT 1: Nach der Comedy-Show "Sechserpack" flattern plötzlich blaue Schmetterlinge als Vorhut der Werbung über den Bildschirm und lassen sich Sekunden später auf einem Puma-Turnschuh nieder.

Werber versprechen "nie dagewesene Lösungen"

Ausgedacht hat sich beide Spots die Agentur "Newcast". Die Tochter des Werberiesen Publicis hat sich nach eigenen Angaben auf "die Entwicklung neuer, ungewöhnlicher Werbemechaniken" spezialisiert. Die Düsseldorfer haben einen zunehmenden "Noise-Level" in der Werbekommunikation registriert, der Botschaften schnell in der Werbeflut untergehen lässt. Angst kennen die experimentierfreudigen Werber trotzdem nicht. "Die Möglichkeiten sind nahezu unbegrenzt", tönen sie auf ihrer Internetseite und versprechen "nie da gewesene Kommunikationslösungen".

RTL will da nicht zurückstehen. Nachdem am Donnerstag das "Cobra 11"-Team gegen 21.15 Uhr das letzte Auto zerstört haben wird, feiert "der neue Singlesplit" Premiere. Ein einziger Spot zwischen zwei Sendungen soll ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit garantieren. Während in einem redaktionellen Rahmen ein Countdown die Sekunden zählt, bis die Ermittler von "CSI" auf Verbrecherjagd gehen, rieselt vom Rest des Bildschirms Werbung auf die Zuschauer. "Optimaler Übergang vom Programm zur Werbung" heißt das bei IP-Verkaufsdirektor Lars-Eric Mann. Jürgen Lindner von der Wiesbadener Media-Agentur Aegis ist da weniger zurückhaltend und jubelt: "Wegzappen ist hier kaum mehr möglich."

Comeback der Printwerbung

Doch während Sender, Vermarkter und Mediaagenturen nach immer neuen Kniffen suchen, um den Zuschauern die Spots unterzujubeln, haben die großen Werbetreibenden längst umgedacht. Sie schauen sich wieder verstärkt im Print- und Onlinebereich um, um dem Werbefrust der Fernsehzuschauer zu entgehen. "Wir wollen nicht stören, sondern die Verbraucher dann und dort erreichen, wenn sie für Werbung empfänglich sind", sagt Petra Popall, Sprecherin von Procter & Gamble, Deutschlands werbefreudigstem Unternehmen. 376 Millionen Euro hat der Konsumgüterhersteller nach Angaben der Fachzeitschrift "Media & Marketing" für die Werbespots seiner Marken wie "Tempo", "Pringles" oder "Lenor" allein im vergangenen Jahr ausgegeben. Zwar schätzt Procter & Gamble Fernsehwerbung nach wie vor als "sehr effizient" ein, doch wenn Petra Popall sagt "Wir schauen uns sehr genau an, was die Verbraucher möchten", kann das für die Sender fast schon wie eine Drohung klingen.